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Nachdenken über Sprache und Eigentum

 

 

Worte, überlebende des Lebens, leistet ihm noch eine Weile Gesellschaft.
Samuel Beckett

Ich finde nach wie vor die Theorie von Marx richtig,
dass der ganze Schlamassel da ist durch das Privateigentum an Produktionsmitteln.

Peter Konwitschny

Eigentlich ist alles schon gesagt - aber noch nicht von allen!
Karl Valentin

 

 

Diesen kurzen Essay beginne ich bewusst mit drei Zitaten, und zwar Zitaten von möglichst weit auseinander liegenden Quellen, um das Bruchstückhafte dieses Textes gleich klar zu stellen. Außerdem kann man das Thema Sprache und Eigentum kaum besser einleiten, als mit fremden Federn!

Seit einem Jahr beschäftigen mich Fragen des geistigen Eigentums, insbesondere des sprachlichen geistigen Eigentums, immer wieder. Das hat nur bedingt etwas mit der jüngeren Entwicklung der elektronischen und vor allem der digitalen Medien zu tun. In gewisser Weise treibt diese Entwicklung nur etwas auf die Spitze, was meines Erachtens in der Sprache bereits angelegt ist. Daher werde ich die Rolle der elektronischen Medien hier aussparen, allerdings ohne sie damit herunterspielen zu wollen - ganz im Gegenteil. Man kann die kulturelle Bedeutung der "digitalen Revolution" kaum überschätzen.

In Fürsprecher (2002) und Fürsprecher II (2003) war das Thema der eigenen Sprache schon einmal sehr präsent, in gewisser weise auch schon in #medea, drei Jahre zuvor, aber im letzten Jahr habe ich dann intensiver über die tatsächlichen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten nachgedacht, mit kompletten fremden Texten zu arbeiten, Texte für die ich keine so genannten "Rechte" besitze.

Interessanterweise sind drei meiner Lieblingsautoren exemplarische Fälle für Fragen zum Thema geistiges Eigentum: Brecht, Beckett und Heiner Müller.
Über Brecht ist bekannt, dass er nicht nur häufig literarische Werke und sonstige historische Quellen verwendete, neu- und uminterpretierte (Antigone, Heilige Johanna, Der gute Mensch von Szechuan), es gilt inzwischen auch als gesichert, dass er wesentliche Passagen seiner Werke von anderen, vornämlich von Frauen, geklaut haben soll.
Heiner Müller wiederum, der in vielerlei Hinsicht die ästhetische Arbeit von Brecht weiterbetrieben und weiterentwickelt hat, auch was das Einbinden fremden Textmaterials in die schriftstellerische Arbeit betrifft, wurde 1998 - 3 Jahre nach seinem Tod - angeklagt, große Teile seines Germania 3-Textes bei Brecht geklaut zu haben. Es kam zum Prozess, zum Verbot des Buches und schließlich zu einer Revision des Urteils durch das Bunderverfassungsgericht.
Beckett schließlich ist in zweifacher Hinsicht interessant: Erstens hat er sehr klare Anweisungen gegeben, wie über seinen Tod hinaus mit seinen Texten (im Theater) zu verfahren sei, und die Einhaltung dieser Anweisungen wird entsprechend streng von den Beckett-Erben, bzw. den betreffenden Verlagen, überwacht. Es kommt daher immer wieder zu spektakulären Prozessen und Verboten und - etwas weniger spektakulär aber vermutlich nicht weniger schlimm - zu einer Unmenge von verstaubten, uninspirierten, werktreuen Beckettinszenierungen. Zweitens hat Beckett wie kein anderer mir bekannter Autor das Verhältnis von Autor und Text und Sprecher und Sprache in seinen Texten thematisiert. Das vermutlich prägnanteste und populärste Beispiel dürfte das Theaterstück Das letzte Band sein. Die Technik des Tonbands gab Beckett die Möglichkeit, einer bühnenadäquaten Form zur Darstellung der Sprecher-Sprache Disparität. Aber eigentlich gibt es in so ziemlich allen Beckett Texten Sprache, die sozusagen herrenlos durch die Szene schwebt, und Figuren, die sprechen, als hätten sie statt eines Sprachzentrums eine fremdgesteuerte Sprachmaschine im Kopf.

Wichtig erscheinen mir dabei folgende 3 Punkte:

- Sprache ist ein gesellschaftlich geschaffenes und geformtes Instrument. Ein Instrument, das ständig neu geformt, perfektioniert, geschliffen oder verschlissen wird. Wir sind also, wenn wir sprechen immer in der Gesellschaft, nie ganz bei uns. Das ist einerseits ein Dilemma: über uns und unsere Gefühle sprechen, können wir nur mit der Sprache des Kollektivs, auch wenn wir ganz egoistisch oder individualistisch sprechen wollen. Das gilt auch für alle anderen Ausdrucksweisen, da das Prinzip des sich Ausdrückens immer das Gesellschaftliche impliziert, es gilt jedoch für die Sprache ganz besonders.

- Eine sprachliche Äußerung (schriftlich oder mündlich, ästhetisch oder praktisch, politisch oder künstlerisch, privat oder öffentlich) ist immer als ein kommunikatives Angebot oder einer kommunikative Aufforderung zu verstehen, auf das/die man reagieren sollte, zumindest aber mit gutem Recht reagieren kann.

- Der Akt des Sprechens als körperlicher Akt produziert immer etwas, das außerhalb des Körpers liegt. Die Sprache tritt also als Klang aus dem Körper heraus und in den Raum hinein, zwischen die Menschen. Genauso tritt gesprochene Sprache in den Körper hinein, als Klang, der in das Ohr eindringt. Sicherlich kann man sagen, dass andere körperliche Akte, Bewegung etwa, ebenso etwas außerhalb des Körpers liegendes produziert (Luftbewegung, Lichtbrechung, sogar Wärme). Mir scheint die Entäußerung, wenn man es mal so nennen will, beim Sprechen jedoch etwas grundsätzlich anderes zu sein. Vielleicht gar etwas bedrohliches, irritierendes, ein Akt, der die Integrität des Körpers in Frage stellt:

Frau W: Nicht da? Amy: Nicht da. Frau W: Aber ich hörte, wie du antwortetest. (Pause.) Ich hörte, wie du Amen sagtest. (Pause.) Wie hättest du antworten können, wenn du nicht da warst? (Pause.) Wie hättest du womöglich Amen sagen können, wenn du, wie du behauptest, nicht da warst? (Pause.) Die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes seien mit uns, nun und in Ewigkeit. Amen. (Pause.) Ich hörte dich deutlich. (Beckett: Tritte)

Betrachtet man diese 3 Punkte zusammen - und ich argumentiere hier bewusst nicht analytisch sondern assoziativ - so scheint es, als wäre Sprache eher etwas, das durch uns hindurch wandert, als etwas, das wir schaffen oder besitzen. Sprache kommt von einem gesellschaftlichen Außen und manifestiert sich dann wieder außerhalb von uns. Der eigene Text, die eigene Äußerung, ist immer gefährlich flüchtig, ständig in der Gefahr von einem "Anderen" aufgesogen zu werden, unterzugehen im Gesellschaftlichen, oder - noch schlimmer - nicht mal als eigenes, individuelles erkannt zu werden. Für einen Künstler unserer europäischen Kunsttradition ist das natürlich der schlimmste vorstellbare Zustand! Mal ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Erwägungen, die in der juristischen und der Sphäre der Kunstproduktion eine bedeutende Rolle spielen.

Es hat etwas Schizophrenes: Künstler verbringen ihr berufliches Leben damit, in Kommunikation zu treten zu großen Gruppen von Menschen - zur Gesellschaft an sich? - und diese Kommunikation und deren Mittel ständig zu verfeinern, und sind tatsächlich einen großen Teil dieser Zeit damit beschäftigt, diese Kommunikation einzudämmen, das freie flottieren der Sprache zu bändigen, die Sprache zu zähmen und an sich zu binden.

Im Werk Becketts finden sich ganz deutliche Spuren dieser paradoxen Situation. Und man löst dieses Problem auch nicht mit der Argumentation, der Künstler (in diesem Falle Beckett) versuche nur eine größtmögliche Verständlichkeit, eine Genauigkeit in der Kommunikation zu gewährleisten, indem er auf Wortwörtlichkeit, auf Ganzheitlichkeit, auf Kontrollmechanismen setze. Beckett etwa hat viele seiner Texte fürs Theater selbst inszeniert. Er hatte also zu diesem Zeitpunkt volle Kontrolle über die Verwendung seiner Texte, konnte sich so genau wie nur möglich artikulieren. Warum also über den eigenen Tod hinaus anderen verbieten, die eigene Äußerung in ihrem Sinne aufzugreifen, womöglich variiert, modifiziert, übertragen usw. Hatte Beckett noch nicht alles gesagt? Mit wem wollte er reden, über seinen Tod hinaus, und hatte er Angst nachträglich missverstanden zu werden, obwohl er zeitlebens richtig verstanden wurde? Und wer spricht zu uns, wenn wir ein Buch von ihm aufschlagen, eine Theateraufzeichnung anschauen, womöglich eine Tonaufnahme seiner Stimme hören? (Übrigens ein Sakrileg! Beckett war strengstens gegen jegliche Ton- oder Filmaufzeichnungen seiner Stimme, seines Körpers.)

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Natürlich regelt das Urheberrecht nicht das Recht auf Sprache, sondern lediglich das Recht auf ganz bestimmte Sprachkombinationen. Es handelt sich also um ein Spiel der Kombination, der Reihung, Gliederung, Ordnung von Sprache, von sprachlichen Einheiten zu neuen größeren Sinneinheiten. Eine Diskussion der Idee des sprachlichen geistigen Eigentums, müsste also bei der Kombinatorik ansetzen. Etwa bei der Frage: wie viele Möglichkeiten gibt es, aus 2000 Wörtern der deutschen Sprache einen originalen Text zu schaffen, der keine Urheberrechtsverletzung darstellt? Oder: wie viele Texte, die urheberrechtlich geschützt sind, müsste man herannehmen, um aus ihren Bestandteilen, den Text von Germania 3 zu bilden? Oder anders: Wie viele Wortkombinationen enthält Germania 3, die nicht in den Werken Das Leben des Galilei und Coriolan von Brecht vorkommen? Kommen sie dafür in einem anderen Werk Brechts oder im Gesamtwerk vor?

Im Theater, eröffnen sich natürlich für eine solche Herangehensweise wieder völlig neue und weit reichende Möglichkeiten: Ist ein als Frau verkleideter Mann in Warten auf Godot eine Frau, und damit fehlbesetzt im Sinne der Beckettschen Verfügung? Und wenn ja, wie männlich muss der als Frau verkleidete Mann sein, um nicht fehlbesetzt zu sein oder zu wirken? Wenn ich alle Worte in Brechts Das Leben des Galilei nur halb ausspreche, muss ich dann für die Aufführungsrechte an die Erbengemeinschaft zahlen, oder muss ich im Gegenteil mit einer Klage wegen Verballhornung rechnen? Und was, wenn ich etwa in Die Hydra von Heiner Müller, das Volkslied-Zitat durch Hit me baby one more time von Britney Spears ersetze - muss ich dann mit einer Klage der Heiner Müller Erbengemeinschaft oder mit einer einstweiligen Verfügung durch Sony Entertainment rechnen?

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Das mögen absurde Fragen sein. Aber es sind sowohl ganz praktische Fragen eines Produzenten, wie theoretische Fragen: Was ist das Wesen dieses Konstruktes, worum geht es dabei? Und wie kann man damit umgehen, nicht nur ohne künstlerischen wie menschlichen Schaden zu nehmen, wie kann man diese Fragen künstlerisch produktiv machen? Mir scheint das, eine sehr wichtige Diskussion zu sein. Nicht nur in Hinsicht auf die rasante Entwicklung der digitalen Medien, der zur folge Fragen von Originalität völlig neu und anders gestellt werden müssen; nicht nur in Hinsicht auf meine eigenen Wünsche als Theatermacher zu einem gegebenen Zeitpunkt; nicht nur in Hinsicht auf die politische Dimension, auf das Recht auf Zugang zu Bildung und Kulturprodukten oder auf den Schutz nichtschriftlicher Kulturproduktion; sondern auch in Hinblick auf unser Verständnis als Künstler und als gesellschaftliche Teilhaber.

 

JP, Februar 2005

 

 

 

 

 

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