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FÜRSPRECHER


Inszenierungskonzept

 

 

"Wenn ich ein Wort verwende", sagte Humpty-Dumpty betont herab-lassend, "dann hat es zu bedeuten, was ich will - nicht mehr und nicht weniger." "Die Frage ist nur", sagte Alice, "ob die Wörter das bedeuten wollen, was Sie wollen?" "Die Frage ist nur", sagte Humpty-Dumpty, "wer bestimmt - und das ist der, der oben sitzt."

Lewis Carroll

 

Everything that is too authentic is out of place on the stage, because they cannot represent anything other than themselves and are therefore in contrast with the inauthenticity of the set, the actor, the division into acts, the stylized language, the orientation of the whole performance towards the audience and even the circumstance that almost all human actions are reduced to conversations.

Jan Marie Peters

 

Die innere Gewaltsamkeit [...] des Öffentlichkeitsprinzips, gründet darin, daß der Hauptkampf gegen alle Besonderheiten geführt werden muß. Alles was der Universalisierungstendenz der Warenproduktion widersteht, muß der Allgemeinheit, dem Prinzip geopfert werden.

Oskar Negt/ Alexander Kluge

 

 

 

Idee und Umsetzung

FÜRSPRECHER ist eine Theaterperformance, die sich kritisch mit dem Medium Sprache auseinandersetzt. Das Sprechstück stellt eine auf die Grundkomponenten Performer, Zuschauer und sprachlicher Text reduzierte Theatersituation dar, in der das Verhältnis zwischen SprecherIn und Text und zwischen SprecherIn, Text und Publikum auf spielerische Weise erforscht werden kann. Unser Interesse gilt hierbei der gesellschaftlichen Macht der Sprache - ihrer nivellierenden wie ihrer divergierenden Kraft, ihrem Exklusions- wie ihrem Integrationspotential, ihrer Fähigkeit zur Täuschung und zur Realitätsabbildung. Wie werden über Sprache Kategorien wie "öffentlich" und "privat", "intim" und "distanziert" bestimmt und verteidigt? Wie werden Wahrheit und Macht behauptet und sanktioniert? FÜRSPRECHER vereint an einem Abend eigene (autobiographische), "fremde", fiktive und agitatorische Texte sowie ausgebildete SprecherInnen/SchauspielerInnen und Laien. Das inszenatorische Interesse liegt dabei nicht etwa auf dem Vereinenden der verschiedenen Elemente, sondern eher auf den Brüchen und den sich daraus ergebenden Unsicherheiten. Durch die angestrebte Reduktion kann sich die Aufmerksamkeit auf zwei Elemente konzentrieren: auf den sprechenden Menschen und auf den Text. Zwischen diesen beiden Elementen können die Bedeutungen hin und her springen, sich von ihrem Träger ablösen und als Kausalität oder Bedingung des anderen wieder auftauchen. Brüche und Verbindungen können aufscheinen, die das Verhältnis von Mensch und Medium und Individuum und Öffentlichkeit prägen. Die Auswahl der Texte wird dabei sowohl ein bewußt weites Gebiet literarischer Formen umfassen, wie auch unterschiedliche gesell-schaftliche Sprechsituationen repräsentieren. Eine zentrale Stellung nehmen die eigenen und autobiographischen Texte ein, die zusammen mit den PerfomerInnen erarbeitet werden. 1999 und 2000 hat Postproduktion mit #medea und #paradies Fragen der Repräsentation vor allem anhand von Körper- und Raumbildern und stimmlicher/gesanglicher Artikulation thematisiert. Mit diesen zwischen Theater, Musik und Wissenschaft angesiedelten Performances versuchten wir die Grenzen und sozialen Implikationen theatraler Repräsentation aufzuzeigen. Mit FÜRSPRECHER haben wir im Winter 2001/ 2002 einen weiteren Schritt in diese Richtung unternommen.

 

 

Wissenschaft - Politik - Unterhaltung

Diesem Theaterprojekt liegt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kommunikationsprozessen und Repräsentationsverfahren zugrunde. Wir verstehen Theater nicht als ein Medium oder einen Ort zum Geschichtenerzählen oder für moralisch didaktische Auslassungen. Stattdessen sind wir der Meinung, daß Theater gesellschaftliche Relevanz haben kann, indem es die Thematisierung von Formen zu seinem Inhalt wählt - und zwar Formen der Kommunikation, von denen Performative Kunst lediglich eine unter vielen ist. Dieses Beharren auf dem Aspekt der Kommunikation und das gleichzeitige Beharren auf der Präsenz von Macht und der Ausübung von Gewalt in Kommunikationsprozessen, stellt vielleicht die einzige potente Strategie des Theaters dar, sich produktiv und gestaltend in gesellschaftliche Prozesse einzubringen. Dabei ist die Problematisierung von (medialen) Kommunikationsprozessen kein theaterspezifisches Terrain. Unserer Meinung nach eignet sich Performative Kunst nur besonders gut dazu, diese Fragen zu stellen und Antworten anzubieten. Unsere Arbeit handelt folglich von den Mechanismen der Macht im performativen Prozess, von Formen der Gewalt, die durch mimetische Verfahren reproduziert und kreiert werden. Wir begeben uns dabei auf die Suche nach selbstbestimmten Formen medialer Repräsentation der eigenen Erfahrungen. Das heißt, Möglichkeiten und Wege, sich als Mensch in öffentliche Diskurse einzubringen, ohne die eigene Autonomie zu verleugnen, sich der medialen Angebote zu bedienen, ohne von ihnen instrumentalisiert zu werden. Dieser Ansatz läßt sich auch als eine bewußte Verbindung von kritischer, materialistischer Wissenschaft und Kunst lesen. Das Sprechstück FÜRSPRECHER ist jedoch nicht als inszenierte Wissenschaft oder als spektakuläre Nachdenklichkeit intendiert. Wissenschaftliches Nachdenken und Performanz werden hier in sofern von einander getrennt, als das eine sowohl dem anderen zeitlich vorausgeht, wie auch nachfolgt, es aber weder ersetzt noch ergänzt. Vergnügen und Erkenntnis folgen aufeinander und sind kausal miteinander verbunden. Das kalkulierte Spiel mit Formen und Bedeutungen soll die Kreativität der Zuschauer anregen, selbst zu einem spielerischen Umgang mit normativen Kategorien zu finden. Im Theater bietet sich die Möglichkeit, Verwirrungen und Diskontinuitäten zuzulassen und diese als ebenso affektiv anregend wie geistig vitalisierend zu erleben, während wir sie im täglichen Leben als Gefahr wahrnehmen. Diese Form der Unterhaltung ist ein aktiver Akt der zu Unterhaltenden, sie ist gewissermaßen kritischer Genuß.

 

 

"Öffentlichkeit und Erfahrung"

Das unter dem Einfluß der linken Protestbewegungen der 60er und 70er Jahre in der BRD von Negt und Kluge geschriebene Buch liefert unserer Meinung nach wertvolle Anregungen und Begriffe für den Umgang mit Machtfragen medialer Repräsentation. Es ist im wesentlichen eine Problematisierung von Kommunikation in der bürgerlichen Gesellschaft, ihren Exklusionsmechanismen und der Funktionsweisen von Erfahrungsproduktion und Artikulation.

Erfahrung

Im täglichen Leben wird Erfahrungsrohmasse angesammelt. Sie wird nicht von der Warenproduktion vereinnahmt, sperrt sich gegen das kapitalistische System. In der Tauschlogik der Warenproduktion ist jedes Ding mit jedem anderen tauschbar und damit ersetzbar. Alles wird verwertet und in den Mechanismus aufgenommen, wo es immer zur Disposition steht. Die Erfahrung der in diesem Mechanismus gefangenen Menschen ist jedoch nicht beliebig austauschbar. Gerade die starke Verbundenheit der täglichen (proletarischen) Erfahrung mit dem empirischen Leben, also die unmittelbare Qualität dieser Erfahrung macht sie so beständig, weil sie sich Abstraktionstendenzen, die tendenziell zu Entfremdung führen, widersetzt. Um Erfahrungsrohmasse in wirkliche Erfahrung umzuwandeln, ist Öffentlichkeit nötig: ein Raum, in dem Erfahrung organisiert wird, das heißt in Bezug zu Erfahrungen anderer Menschen und zu gesellschaftlichen Prozessen gesetzt werden kann.

Öffentlichkeit

Die existierende bürgerliche Öffentlichkeit - die nie eine monolithische ist, sondern eine Ansammlung verschiedener Teilöffentlichkeiten und Öffentlichkeitsnischen unter der bürgerlichen Ordnung - dient nur scheinbar der Austragung von gesellschaftlichen Friktionen und der Konsensfindung. Vielmehr hat sie die Aufgabe, den Fortbestand der Gesellschaft zu garantieren: Da diese Gesellschaft eine kapitalistische ist, hat Öffentlichkeit die Kapitalinteressen zu schützen, und zwar indem all jene von ihr ausgeschlossen werden, die keine PrivateigentümerInnen sind und nicht aufgrund ihrer privilegierten sozialen Stellung (und ökonomischen Situation) an der bürgerlichen Politik teilnehmen können. Im 19. Jahrhundert entwickelt sich die bürgerliche Öffentlichkeit immer mehr vom gesellschaftserhaltenden Medium zum Mittel zur Kapitalakkumulation. Öffentlichkeit ist eine Möglichkeit, Kapitalinteressen in die Politik einzubringen und gleichzeitig diese Interessen "in die Form einer eingebildeten Souveränität, eines fingierten Gemeinwillens zu kleiden." (Negt/Kluge) Dazu ist es nötig, jene Lebensbereiche auszugrenzen, die die Legitimation des kapitalistischen Wirtschaftssystems gefährden könnten. So existiert neben der bürgerlichen Öffentlichkeit eine produzierte Nicht-Öffentlichkeit, die wesentliche Teile des gesellschaftlichen Lebens als privat ausschließt. Außerdem dient die Trennung in privat und öffentlich dazu, die Lebenswelt der Menschen zu zerstückeln, insbesondere, Warenproduktion und Politik voneinander zu trennen. Die Masse der Bevölkerung wird von den ihr zur Verfügung stehen-den gesellschaftlichen Gestaltungsmitteln getrennt, indem Politik als ein hermetisch abgeschlossener Bereich präsentiert wird, von dem die Warenproduktion getrennt und vor allem unangetastet bleibt. Unmittelbar läßt sich so keine Verbindung zwischen eigenem Erfahrungshorizont und öffentlicher Gestaltungsmacht herstellen; die Menschen werden in ihrem Willen zu politischer Teilhabe entmutigt. Mit der zunehmenden Perfektionierung der Kulturproduktion und Vermarktung von Öffentlichkeit sind die Methoden der Ausgrenzung subtiler und gleichzeitig effektiver geworden. An die Stelle der Ausgrenzung ist überwiegend die Vereinnahmung getreten. Statt den Produktionszusammenhang auszuklammern, wird er der Logik bürgerlicher Öffentlichkeit unterworfen und vermarktet.

Kommunikation

Unterschiedliche Erfahrungshorizonte benötigen unterschiedliche Formen der Öffentlichkeit. Sprache, Bewußtsein, Zeitempfinden sind unterschiedlich beschaffen, je nachdem, wie der konkrete Lebenszusammenhang eines Menschen aussieht. Proletarische Welterfahrung etwa unterscheidet sich eminent von bürgerlicher oder intellektueller. Die Form, in der in der bürgerlichen Öffentlichkeit kommuniziert wird, ist auf ihre Zwecke zugeschnitten. Die Formen der Kommunikation selbst wirken also systemstabilisierend. Indem Menschen sich der in dieser Öffentlichkeit verwandten Mittel und Methoden der Kommunikation bedienen, lassen sie die für ihre Lebenswelt spezifischen Produktionsmittel von Erfahrung und damit auch den Zugang zu dieser Erfahrung häufig hinter sich. Sie passen sich an Spielregeln an, die sie nicht bestimmen und die ihnen nicht entsprechen. So bleibt ihnen entweder die Öffentlichkeit fremd, oder sie entfremden sich von ihrer eigenen Erfahrung. Um wirkliche gesellschaftliche Perspektiven zu entwickeln, ist die Verbindung dieser Perspektiven mit der eigenen Erfahrungsrohmasse aber nötig, sonst bleiben sie abstrakt und undurchsichtig. Eine kritische und politisch bewußte Kommunikation muß also Zugänge eröffnen zur Erfahrungsrohmasse, die nicht verfälschend und entfremdend wirken. Es geht um Kommunikationsformen, die es ermöglichen, die Erlebnisse in der unmittelbaren Lebenswelt selbstbestimmt in öffentliche Diskurse einzubringen und so zu Erfahrungen zu organisieren.

 

 

 

 

 

 

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